Die Stimme des Allahs – Buch gebraucht kaufen

3222129142

(ISBN-13: 9783222129148)

wie neu

144x215 mm

384

710 g

Hardcover/gebunden

Deutsch

Einleitung

Dem vorliegenden Buch liegt der Versuch zugrunde, die breite Palette dessen, was Islam umfasst, schwerpunktmäßig darzustellen: nicht nur den engeren Bereich der Religion mit ihren genormten Riten, allgemeinen und konkreten Direktiven, sondern auch die vielen Kulturausdrücke, die sich mit dem Islam im Laufe der Zeit bis in die Gegenwart verbinden; sowie die konkreten gesellschaftlichen Bedingungen, in denen der Islam gedeutet und gelebt wird.

Dieser Versuch einer umfassenden Vorstellung des Islams als Religions-, Gesellschafts- und Kulturträger geschieht von der religionswissenschaftlichen Perspektive, d. h. von der Außenperspektive her, von einem Nicht-Muslim; wodurch sich von vornherein ein Unterschied zu muslimischen Darstellungen, die von einer Innensicht ausgehen, ergibt.

Die Geschichte des Islams zeigt, dass es eine Vielfalt und Vielzahl von kulturellen und gesellschaftlichen Ausformungen des Islams gegeben hat, womit auch eine unterschiedliche Praxis zusammenhängt. Es sind nicht nur die vielen synkretistischen Formen, die der Islam durch verschiedene In- und Ak-kulturationsvorgänge hervorgebracht hat und noch immer hervorbringt, sondern auch verschiedene Formen, Riten und Bräuche, denen die Volksseele Legitimation verschafft hat: Neben der Heiligenverehrung sind es etwa die vielen Formen und Praktiken mystischer Zugänge zum Islam. Gleichzeitig hat es aber auch immer wieder Versuche gegeben, diese Vielfalt der Formen und diesen Reichtum an Sitten und Bräuchen der Völker auf eine Variante zu reduzieren. Damit verbindet sich in den allermeisten Fällen der Gedanke der Reinheit, des Ursprünglichen und somit des Authentischen. Die Geschichte des Islams zeigt, dass die vielfältigen In- und Akkulturationsvorgän-ge, die synkretistischen Variationen, meist als Verfälschung des Islams gebrandmarkt wurden und dies bis heute. Die Spannung zwischen einer eher legalistischen Interpretationsweise und einer eher mystisch ausgerichteten durchzieht die Geschichte und ist gerade heute in Europa, wo Muslime um die Bewahrung ihrer Identität kämpfen, beobachtbar.

In einem ersten Abschnitt wird, ausgehend von der multireligiösen Situation auf der arabischen Halbinsel zur Zeit Muhammads, gezeigt, welche prophetische Antwort auf diese Situation gegeben wurde. Damit stellt sich gleichzeitig aber auch die Frage nach der Person Muhammad, der als „Siegel des Propheten“ in den Fußstapfen der biblischen Traditionen steht, diese bestätigt, aber auch von den Fehlentwicklungen reinigt, also nach der „arabischen Offenbarung“, festgeschrieben im Koran.

Der zweite Teil widmet sich eher skizzenhaft den verschiedenen Auseinandersetzungen um das Erbe des Propheten, die in der Folge zur Spaltung der Gemeinde Muhammads führten. Weiters wird die Inkulturation des Islams, so wie er sich in der medinensischen Umma herauskristallisierte, in die großen Kultur- und Gesellschaftstraditionen des Vorderen Orients kurz aufgezeigt; in die semitische, griechisch-hellenistische, persische und türkische Kulturwelt, aber auch in die Kultur und Gesellschaft Andalusiens.

Im dritten Teil wird der Diskurs der Muslime mit diesen vielfältigen Kulturtraditionen, auf die sie stießen, dargestellt. Dieser führte in der Folge zur Herausbildung der religiösen Gelehrsamkeit mit den entsprechenden Gelehrten und Institutionen. Im Gefolge dieses Diskurses wird sich aber auch jene einheitliche islamische Kultur und Gesellschaft formen, deren einende Mitte ein gemeinsamer Glaube und ein gemeinsames „religiöses Gesetz“ (scharia) sind. Einen oder überhaupt den entscheidenden Impuls bekam dieser interkulturelle Diskurs durch die Übersetzung des antiken Erbes, wodurch sich rationale Traditionen formten, die in der Theologie und Philosophie, aber auch in den verschiedenen Zweigen der Naturwissenschaften („arabische Wissenschaften“) greifbar werden. Aber auch die Mystik und das vielfältige Kunst- und Literaturschaffen waren von diesem kulturellen Dialog geprägt. Die „Absage an die Neuerungen“ wird sich sodann in kritischer Sichtung mit den rationalen Traditionen auseinandersetzen. Der „Glaube der Vorfahren“ wird als Kennzeichen und Kriterium des wahrhaften Muslim-Seins ausgewiesen werden. Trotzdem werden diese rationalen Traditonen auf vielfältige Weise ihre Wirkung fortsetzen.

Im vierten Teil wird der Einbindung des Islams in die verschiedenen Kulturen und Völker Vorder- und Zentralasiens, Südostasiens und Afrikas nachgegangen. Hierbei wird sichtbar, dass sich diese islamische Einheitszivilisation wieder in vielfältige Kulturausdrücke ausdifferenziert. Die Begegnung der islamischen Völker mit der europäischen Kultur im Rahmen der Kolonialzeit und die Übernahme europäischer Modelle zeigen die ganze Problematik und Vielschichtigkeit dieser Begegnungen auf, die bis heute noch andauern. Die Antwort darauf ist eine Rückbesinnung auf die eigenen traditionellen Werte und Normen (Fundamentalismus/Islamismus), um so die eigene Identität vor Überfremdung zu bewahren, aber vor allem auch um den krisenhaften Entwicklungen im ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Bereich Einhalt zu gebieten.

Anhand der Reformer und Reformbewegungen wird sich erweisen, dass der Islam über jenes geistige Potential verfügt, das es ermöglicht, ihn an moderne Verhältnisse anzupassen. Weiters soll gezeigt werden, dass der Säkularismus ein Faktor ist, der heute in unterschiedlicher Weise in die islamischen Kulturen eingedrungen ist, und daher nicht mehr wegzudenken ist. Ein flüchtiger Blick in das reichhaltige literarische Schaffen der muslimischen Völker vermag wohl am besten das zum Ausdruck zu bringen, was man als die „Seele“ eines Volkes bezeichnen kann.

Ein weiterer Abschnitt führt in die Welt des gelebten und praktizierten Islams ein. Nicht nur in die genuin religiösen Riten - die fünf „Säulen“ des Islams -, sondern auch in die Volksfrömmigkeit mit ihrem Facettenreichtum an Bräuchen und Praktiken und ihrer breiten Palette an mystischen Strömungen. Gerade hier wird sich im besonderen das jeweils spezifische kulturelle Erbe der Völker zum Ausdruck bringen, aber auch das gemeinsame der drei abra-hamitischen Religionen. Auch die vielfältigen und oft konträren Aspekte, die sich mit der Frau in den muslimischen Gesellschaften verbinden, sollen kurz angedeutet werden.

In einem letzten Abschnitt „Der Islam in Europa“ wird auf die spezifischen Seiten des Diaspora-Islam einzugehen und nochmals die kulturelle Vielfalt usw......

2001

BN37259MÖ23