Naive Mengenlehre - Moderne Mathematik in elementarer Darstellung – Buch gebraucht kaufen

deutliche Gebrauchsspuren

132

213 g

Taschenbuch

Deutsch

Zustand siehe Bild/Bilder. Zusätzlich: Ecken und Kanten stärker bestoßen. Seiten und Buchschnitt stärker abgedunkelt. Zweite Seite Eintrag mit Bleistift. Einband berieben. Einige Anstreichungen und Anmerkungen im Text. Buchschnitt siehe Bilder.


VORWORT

Alle Mathematiker sind sich darüber einig, daß jeder Mathematiker ein wenig Mengenlehre kennen muß; die Uneinigkeit beginnt, sobald man zu entscheiden versucht, wieviel ein wenig ist. Das vorliegende Buch enthält meine Antwort auf diese Frage. Es ist in der Absicht geschrieben, den Mathematikstudenten der ersten Semester die mengentheoretischen Grundtatsachen mitzuteilen, und zwar mit einem Minimum an philosophischer Reflexion und logischem Formalismus. Dabei habe ich immer einen vorausschauenden Mathematiker im Auge, der möglichst bald Gruppen, Integrale oder Mannigfaltigkeiten studieren möchte. Deshalb enthält dieses Buch nur solche Begriffe und Methoden, die zum mathematischen Standardwerkzeug gehören; der Fachmann wird hier nichts Neues finden.
Akademische Literaturhinweise und Zitate gehören nicht in ein reines Lehrbuch wie dieses. Dem Studenten, der sich für die Mengenlehre um ihrer selbst willen interessiert, sei jedoch gesagt, daß lange nicht alles in diesem Buch steht, was darüber bekannt ist. Eine der schönsten Quellen mengentheoretischen Wissens ist immer noch Hausdorffs Mengenlehre. Eine neuere und sehr lesenswerte Ergänzung der Literatur mit einer umfassenden und zeitgemäßen Bibliographie ist die Axiomatic set theory von Suppes.
In der Mengenlehre dienen die Adjektive „naiv“ und „axiomatisch“ zur Kennzeichnung von gegensätzlichen Standpunkten. Die vorliegende Abhandlung kann am besten als „axiomatische Mengenlehre aus naiver Sicht" beschrieben werden. Sie ist insofern axiomatisch, als gewisse Axiome der Mengenlehre angegeben und als Grundlage aller späteren Beweise benutzt werden; naiv ist sie darin, daß Sprache und Notation die der gewöhnlichen nicht formalisierten (aber formalisierbaren) Mathematik sind. Stärker noch tritt der naive Standpunkt dadurch hervor, daß die Mengenlehre als Komplex von Tatsachen angesehen wird, die in den Axiomen kurz und bequem zusammengefaßt sind; in streng axio- matischer Sicht ständen dagegen die logischen Beziehungen zwischen den verschiedenen Axiomen im Mittelpunkt der Betrachtung. Analog könnte man eine Beschreibung der Geometrie als rein naiv bezeichnen, wenn sie sich allein auf die durch das Falten von Papier gewonnene Intuition stützte; dem anderen Extrem, der rein axiomatischen Betrachtungsweise, begegnen wir dann, wenn Axiome für die verschiedenen Nicht-Euklidischen Geometrien mit der gleichen Aufmerksamkeit untersucht werden wie im euklidischen Fall. Wollte man die Geometrie in derselben Weise darstellen wie in diesem Buch die Mengenlehre, so müßte man ein einziges vernünftiges Axiomensystem in der Absicht untersuchen, nur die Euklidische Geometrie zu beschreiben.
Dieses Buch müßte anstatt Naive Mengenlehre ehrlicher Umriß der Elemente der naiven Mengenlehre heißen. Das Wort „Elemente“ würde den Leser darauf hinweisen, daß er hier nicht alles findet; das Wort „Umriß" würde ihm sagen, daß selbst das, was er hier findet, noch der Vervollständigung bedarf. Der Stil ist im allgemeinen nicht formal, sondern fast umgangssprachlich. Nur wenige Sätze sind hervorgehoben; für die meisten Behauptungen werden die Beweise nur skizziert, und zwar genau so, wie man sie in einer entsprechenden Vorlesung bringen würde. Es gibt nur wenige Übungsaufgaben, die offiziell als solche gekennzeichnet sind, aber in Wirklichkeit ist der größte Teil des Buches nichts anderes als eine lange Reihe von Übungsaufgaben mit Lösungshinweisen.
Der Leser soll sich ständig fragen, ob er weiß, wie man von einem Hinweis zum nächsten gelangt, und demgemäß sollte er nicht den Mut verlieren, wenn er feststellt, daß sein Lesetempo beträchtlich langsamer als gewöhnlich ist.
Damit soll nicht gesagt werden, daß der Inhalt dieses Buches ungewöhnlich schwierig oder tiefgründig sei. Wahr ist lediglich, daß die Begriffe sehr allgemein und sehr abstrakt sind und daß man sich möglicherweise erst an sie gewöhnen muß. Es ist jedoch eine mathematische Binsenwahrheit, daß ein mathematischer Satz um so weniger tief ist, je allgemeiner er anwendbar ist. Die Aufgabe des Studenten beim Studium der Mengenlehre besteht darin, sich in ungewohnte, aber im wesentlichen nicht tiefsinnige Allgemeinheiten zu versenken, bis sie ihm so vertraut werden, daß er sie mühelos benutzen kann. Mit anderen Worten, allgemeine Mengenlehre ist in der Tat ziemlich triviales Zeug, aber wenn jemand Mathematiker werden möchte, so braucht er etwas davon, und hier findet er es; er lese es, mache es sich zu eigen und vergesse es.

P.R.H.

1972

BN16454