Jennie Gerhardt / Roman – Buch antiquarisch kaufen

leichte Gebrauchsspuren

450

526 g

Hardcover/gebunden

Deutsch

Status nach VGG: vergriffen.

"Wie schon in seinem skandalumwitterten Erstling Sister Carrie (1900) gestaltete Dreiser auch in seinem zweiten Roman das Schicksal einer seiner Schwestern.

Doch anders als die aufstiegsorientierte, rücksichtslose Carrie Meeber ist die Titelheldin dieses Romans der Inbegriff von Altruismus und Loyalität. Trotzdem setzen ihr, nach naturalistischer Manier, »die Verhältnisse« zu.

Jennie Gerhardt, die achtzehnjährige Tochter eines arbeitslosen, bigotten Glasbläsers und einer Wäscherin, wird zum gefallenen Mädchen, weil die furchtbare Armut, in der sie mit Eltern und Geschwistern lebt, ihr keine andere Wahl lässt. Um ihren wegen Diebstahls verurteilten Bruder freizubekommen, gibt sich Jennie dem sehr viel älteren, einflussreichen Senator Brander hin. Zwar verspricht ihr der aufrechte Mann die Ehe, doch bevor er sie zu seiner Frau machen kann, stirbt er. Jennie, die ein Kind von ihm erwartet, wird von ihrem Vater verstoßen (der engstirnige Vater und das Familienleben ähneln stark Dreisers eigenen Jugenderlebnissen, wie sie in der Autobiographie Dawn (Morgengrauen, 1931) dargestellt werden).

Im Haus ihrer neuen Arbeitgeber in Cleveland lernt Jennie den Fabrikantensohn Lester Kane kennen, der, nachdem sie seine Geliebte geworden ist, ihre gleichfalls nach Cleveland gezogene Familie großzügig unterstützt. Er hegt ihr gegenüber ebenso ehrliche Absichten wie einst Brander und findet sich sogar mit der ihm anfangs verheimlichten Tatsache ab, dass Jennie eine uneheliche Tochter hat. Obwohl er alles versucht, um von seiner über diese Liaison entsetzten Familie unabhängig zu werden, gelingt es ihm nicht, außerhalb seiner Gesellschaftsschicht Fuß zu fassen. Schließlich beugt er sich der testamentarischen Verfügung seines Vaters, dass er nur erben solle, wenn er auf Jennie verzichtet, und heiratet eine attraktive reiche Witwe.

Jennie, an Enttäuschungen gewöhnt, fügt sich ohne Bitterkeit, aber auch ohne Reue in ihr Schicksal. Der Lebensweg dieser Frau ist um so ergreifender, als gerade sie, die von der öffentlichen Moral verdammt wird, niemals ihre persönliche Integrität verliert, niemals aus niedrigen Beweggründen handelt. Diejenigen, die ihr Unglück gebracht haben, sind ebenfalls weitgehend Opfer der sich hinter einem starren Sittenkodex verschanzenden Gesellschaft. Die peinlich genauen Milieustudien Dreisers unterstreichen die Inhumanität dieser Lebensordnung und geben – auf Kosten der erzählerischen Durchformung – dem Roman oft den Charakter einer Dokumentation. Dafür, dass in Dreisers »naturalistischen Sagas ein menschliches Erbarmen mitklingt, wie man es bei keinem anderen Schriftsteller dieses Genres findet« (M. Cunliffe), ist Jennie Gerhardt ein überzeugendes Beispiel. Der von dem mit Dreiser verbündeten Zivilisationskritiker H. L. Mencken überschwänglich gepriesene Roman fand bei den Zeitgenossen eine positivere Aufnahme als Sister Carrie; heute steht das Werk jedoch zu Unrecht im Schatten von Sister Carrie und An American Tragedy."

Kindlers Neues Literaturlexikon

1959

06.02.2025

BN0681