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Die Andere Bibliothek - Besonderes zum Sammeln von
aus der Sparte Sammlerstücke/Raritäten: Sonderausgaben
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Extreme. Betrachtungen zum menschlichen Verhalten.
Autor/in: Dunning, A.J.
Ein niederländischer Kardiologe, Arend Jan Dunning, schreibt ein Buch über bizarre Leidenschaften: "Extreme".
Er kennt die Schwächen und Schründe des menschlichen Herzens, als da, leider, sind: Arteriosklerose, Angina pectoris, Rhythmusstörungen, Kammerflimmern und, schließlich, die Posaune von Jericho, der Herzinfarkt.
Der Niederländer Arend Jan Dunning, 61, ist Kardiologe, Chef der Herzabteilung am "Akademischen Medizinischen Zentrum" von Amsterdam, Professor an der angeschlossenen Medizinischen Fakultät. Auch wenn er den weißen Kittel ablegt, kann er vom Menschenherz nicht lassen.
Dann widmet er sich der noch dunkleren, heilloseren Seite des wankelmütigen Motors; dem symbolschweren Triebwerk bizarrer und abgründiger Leidenschaften, dem Rätsel, vor dem Pascal sich beugte: "Das Herz hat Gründe, von denen der Verstand nichts weiß."
"Extreme" heißt das jüngste Buch des Herzprofessors, in der Selbstdiagnose ein "kurzer, biomedizinischer, beschreibender Katalog bekannter Beispiele leidenschaftlichen Verhaltens"*. Moral und Erklärung dürfe der Leser nicht erwarten, dafür "Belehrung und Unterhaltung". In Fülle.
Dem Tod entkommen und dem Leben entfliehen: Von Anorexie (Magersucht) _(* A. J. Dunning: "Extreme. Betrachtungen ) _(zum menschlichen Verhalten". Aus dem ) _(Niederländischen von Helga van ) _(Beuningen. Eichborn Verlag, Frankfurt am ) _(Main; 336 Seiten; 44 Mark. ) bis Theopathie (Gotteswahn) reichen die "Extreme", von Heiligen bis zu Lemuren, vom Kastratengesang bis zum Kannibalismus Schiffbrüchiger. Und Jungfrauengeburt gibt es wirklich, nicht bei der Mutter Gottes, bei Eidechsen.
Ein merk-, denk- und preiswürdiger Autor tritt da herfür, von einer Spezies, die aus deutschen Landen nicht auf den Tisch kommt: ein universaler Geist und urbaner Erzähler, bewandert in Welt- und Kulturgeschichte, Kenner der Musen und Museen. Ein Holländer bremst den Untergang des Abendlandes.
"Viele Fragen von heute", sagt Dunning, "sind die Fragen von gestern und von morgen." Das verführe ihn zum Schreiben. Pfeifenrauch hängt in der Luft des Doktor-Zimmers, eher Molligkeit als die erwünschte Drahtigkeit zeichnet den Herzspezialisten aus; eine mit Ironie bestäubte Gelassenheit wird ihm ein langes Leben gewähren.
Dunning ist in Holland weltberühmt. Er schreibt eine monatliche Kolumne in einer führenden Tageszeitung, als Regierungsrat steht er einer Kommission vor, die das Gesundheitswesen reformieren soll; sein "Extreme"-Buch erreichte, frappant für das kleine Land, eine Auflage von 50 000 Stück.
Rätsel Mensch: Der Schöngeist, der fasziniert den Tollereien seiner Gattung nachspürt, ist als Wissenschaftler ein völlig illusionsloser Rationalist. Aus dem Dunning-Credo: "Das menschliche Dasein ist eine unheilbare Erkrankung", "ich kann den Sinn des Leidens nicht entdecken", "wir sind keine moralischen Tiere", "der in Wahrheit unergründliche Abgrund ist der Mensch".
Schon in einem früheren Buch, "Bruder Esel", vor drei Jahren auf deutsch erschienen, hatte Dunning dem Leben eine niederschmetternde Diagnose gestellt; auch den Leuten, die an seiner Verlängerung arbeiten.
Irritierendes Argument darin: Ist es sinnvoll, die Quantität des Lebens mit allen Mitteln zu erweitern, wenn die gewonnenen Jahre Qualität einbüßen? Das Bild vom "Bruder Esel" hatte Dunning beim Heiligen Franz von Assisi gefunden; der nannte so seinen Körper und sah in ihm nur das Lasttier, das die Seele zurück zu Gott transportierte.
"Extreme markieren die Höhen und Tiefen, zu denen Menschen imstande sind", schreibt Dunning, und die Umgetriebenen seien das "Salz der Erde". Die Personen des "Extreme"-Buchs, jeweils Helden von Kapiteln, sind besessen von Wahn, Ideen, Süchten, Ängsten; nicht wenige reiten dabei, wie im Triumph, ihren Esel zu Tode. Das muß einen ungläubigen Medizin-Thomas faszinieren.
Heilige und Ketzer zählen zum Dunning-Personal, der Absinth-Poet Verlaine, die unbeugsame Jeanne d''Arc, die Marat-Mörderin Charlotte Corday. Freud und Mahler treten auf, "die beiden genialen Wiener Extreme"; ein blinder Sattlerjunge, Louis Braille, erfindet die Blindenschrift; ein alter Arzt injiziert sich Hundehoden, um wieder standfest zu werden.
Andere nehmen die Esel anderer zum Opfertier ihrer Gier und Lüste. Jeanne d''Arcs Kampfgenosse Gilles de Rais schändet und schlachtet an die 150 Knaben; Schiffbrüchige auf hoher See verspeisen einen Gefährten; italienische Eltern kastrieren ihre Söhne, damit sie ihr Leben lang in den höchsten Tönen zum Ruhme Gottes singen.
Dunnings Meisterstück ist das Kapitel über Katharina von Siena, 1347 geboren, Italiens Schutzheilige. Biologie, Medizin und Geschichte schließen sich zu einem überraschenden Regelkreis, die flagellantische Selbstkasteiung Katharinas gewinnt Züge einer modernen Wohlstandskrankheit: Anorexie, die Magersucht junger Mädchen.
Katharina, das zweitjüngste von 23 Kindern einer Weberfamilie, beschließt mit 15 Jahren, Jungfrau zu bleiben, um Gott anzugehören. Sie schweigt fortan, hungert, erlebt erotische Visionen mit Jesus, trägt, nur für sie sichtbar, die Vorhaut des Herrn als Ehering.
"Das Fixiertsein auf den heranreifenden Körper", schreibt Dunning, "die Leugnung von Hunger, Durst oder Schlaf, die Auflehnung gegen die Eltern, die erotische Phantasie neben der selbstgewählten Jungfräulichkeit scheint sich über die Jahrhunderte hinweg nicht wesentlich verändert zu haben." Katharina stirbt, wie Jesus, mit 33 Jahren. "Wir verstehen die Anorexie nicht und Katharina von Siena schon gar nicht."
Die Welt als Mühe und Vorstellung: Bruder Esel wird immer daran zu tragen haben.
Fernsteuerung. Bettgeschichten.
Autor/in: Ambras, Elisabeth
»Von der Zeremonie der Paarung.«
Schamlose, verrückte, bizarre Geschichten, die sich immer nur um das Eine drehen. »Ich weiß nicht, wie ich dazu komme«, schreibt die Autorin. »Man erzählt mir alles, fast alles, in Zugabteilen, in Kneipen, in Hotelhallen. Man lädt mich ein in eintönige Wohnküchen und geschmacklose Boudoirs. Ich höre zu. Ich frage nicht nach, doch wehre ich auch nicht ab. Natürlich gebe ich mich nicht der Illusion hin, als ginge es dabei um die sogenannten Tatsachen. Denn das, was man mir eingeflüstert hat, ist nicht wiederzuerkennen, wenn es schließlich schwarz auf weiß auf der Seite erscheint - ganz zu schweigen davon, was der Leser aus den abstoßenden, wunderbaren, banalen Wachträumen macht, die ich ihm überliefere.«
Das könnte langweilig sein, repetitiv; nur daß Elisabeth Ambras nicht dumm genug ist, um in die Falle der Pornographie zu gehen. Dazu ist sie zu witzig, vielleicht auch zu boshaft. Vor allem aber sieht sie, was dem Pornographen entgeht: die Tragikomödie hinter den Zeremonien der Paarung. Die Frauen und Männer in diesen Erzählungen sind ihren unverständlichen Wünschen mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. »Die Liebe ist eine Himmelsmacht - und damit basta.« In diesem Sinn steht die Titelgeschichte »Fernsteuerung« für das ganze Buch.
Elisabeth Ambras ist ein Pseudonym. »Mein Mann möchte, daß ich auf etwas Rücksicht nehme, das er seine ›gesellschaftliche Position‹ nennt. Ich erfülle diese Bitte gern, wenngleich ich nicht sicher bin, was er damit meint. Literatur als Beruf liegt mir fern. Ich bin Amateurin und schreibe zu meinem eigenen Vergnügen, meinem eigenen Verdruß. Ich bin kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz geboren, wurde in England erzogen und führe ein eher nomadisches Leben. Und so weiter... Aber beim Schreiben eines Lebenslaufes hätte ich bald das Gefühl, ich wäre in eine Geschichte von Elisabeth Ambras geraten. Dies ist ein Los, das ich mir ersparen möchte.«
Bourke, John Gregory
Autor/in: Das Buch des Unrats
Der Unrat in Sitte, Brauch, Glauben und Gewohnheitsrecht der Völker - unter diesem Titel erschien 1913 im Ethnologischen Verlag zu Leipzig die deutsche Fassung einer monumentalen Forschungsarbeit. »Das Meiste und Beste«, schrieb Freud damals, »was wir über die Rolle der Ausscheidungen im Leben der Menschen wissen, ist in dem Buche zusammengetragen. Es ist daher nicht nur ein mutiges, sondern auch ein verdienstvolles Unternehmen, dieses Werk den deutschen Lesern zugänglich zu machen.«
Davon konnte allerdings kaum die Rede sein. »Privatdruck«, lesen wir im Impressum. »Nur für Gelehrte, nicht für den Buchhandel bestimmt. Wer dieses Buch öffentlich ausstellt oder verleiht, setzt sich der Gefahr einer Verfolgung aus.« So streng waren damals die Sitten. Heute, spätestens seit Dominique Laportes Geschichte der Scheiße (1981, deutsch 1991), sehen wir das anders. Schließlich handelt es sich um ein anthropologisches Faktum ersten Ranges.
John Gregory Bourke (1843-1896) war ein amerikanischer Kavallerie-Offizier, der im Kampf gegen die Indianer einen Kulturschock erfuhr. Bei einem rituellen Reinigungstanz in New Mexico sah er, wie die Medizinmänner der Nehue-Cue Urin tranken und in Ekstase verfielen. Von diesem Trauma hat er sich nie wieder erholt. Er verbrachte ein Jahrzehnt damit, die skatologischen Riten und Bräuche aller Völker der Erde zu erforschen. Er wurde auf verblüffende und unerhörte Weise fündig.
Aus seinem riesigen Standardwerk präsentiert der amerikanische Wissenschaftler Louis Kaplan eine Auswahl, die alle Stämme mit ihren seltsamen Sitten alphabetisch vorführt von A wie Albanien bis V wie Vatikan. Er erschließt ein Dunkelfeld zwischen Anthropologie, Folklore, Sexualforschung und Psychoanalyse. Sachregister und Literaturverzeichnis sorgen dafür, daß der Gebrauchswert nicht zu kurz kommt. Kaplans abschließender Essay geht den Spuren Bourkes nach und ist selbst Muster fröhlicher Wissenschaft.
Journal einer Revolution. Tagesblätter 1848/1849.
Autor/in: Varnhagen von Ense, Karl August
Ein Abtrü*?$%#* seiner eigenen Klasse, ein Spion der deutschen Geschichte, der überall, auf der Straße, in den Salons, am Tisch der Mächtigen, bei Hofe, in vertraulichen Unterhaltungen und auf stürmischen Sitzungen, immer im Hintergrund, ein ungeheures Belastungsmaterial sammelte.
Zeitgenossen rühmten dieses Werk, das 9000 Korrespondenzpartner und ihre in der Jagiellonischen Bibliothek zu Krakau aufbewahrten Lebenszeugnisse verzeichnet, als »beispielgebendes Meisterwerk moderner Autographenkatalogisierung«. Der Germanist Oskar Walzel schrieb: »Für Varnhagens Sammlung ist mithin endlich geleistet, was wir bei der Benutzung ähnlicher Schätze schmerzlich vermissen.«